Die Abgasclique aus Aachen
Männer mögen Autos, nicht alle mögen Abgase, aber manche beschäftigen sich gern damit. Die Diesel-Spezialisten der Volkswagen AG verbindet ihre „wissenschaftliche“ Herkunft. Einige der offenbar in den Abgasskandal verwickelten Männer haben an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) studiert.
Ihr Interesse an Autotechnologien muss der ehemalige RWTH-Maschinenbauprofessor Franz Pischinger bei ihnen geweckt haben. Der gebürtige Österreicher hatte jahrelang einen Lehrstuhl an der RWTH inne. Außerdem gründete er 1978 in Aachen die FEV Motorentechnik GmbH. Die FEV, mit inzwischen 3000 Angestellten, entwickelt unter anderem Testsysteme für alternative Brennverfahren und Kraftstoffe, Motortechnik und Emissionskonzepte. Seit 2008 wird der nach Professor Pischinger benannte Franz F. Pischinger Powertrain Innovation Award für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Antriebstechnik von der Society of Automotive Engineers (SAE) verliehen. 2015 erhielt Pischinger selbst einen wichtigen Preis, den Aachener Ingenieurpreis „für sein Lebenswerk und seine Vorbildfunktion für aufstrebende Wissenschaftler und Entwickler“, wie auf der Seite seiner FEV GmbH nachzulesen ist.
Beide Posten, den RWTH-Lehrstuhl und die FEV-Geschäftsführung vererbte Franz Pischinger seinem 1961 geborenen Sohn Stefan. Nun verwaltet Stefan die Pfründe seines Vaters und pflegt das Netzwerk aus ehemaligen RWTH´lern, darunter Schlüsselfiguren in der Automobilwirtschaft. Laut eines Handelsblatt-Berichts vom 12.10.2015 zählt zu den Abgasfreunden der Pischingers etwa Stefan Gies. Gies hat an der RWTH im Sektor Kraftfahrzeugtechnik studiert und wurde dort promoviert. Später wurde er Professor am RWTH-Institut für Kraftfahrzeuge. Er war als Beirat der Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen mbH in Aachen (fka) für Elektromobilität zuständig und initiierte Forschungsprojekte und Kooperationen. Seit 2010 leitet Gies bei der Volkswagen AG die Fahrwerkentwicklung für PKWs.
Ein weiteres Abgascliquenmitglied ist Ulrich Hackenberg. Zwischen 1978 und 1985 assistierte am RWTH-Institut für Kraftfahrwesen. Er übernahm dann wechselnde Positionen bei VW und Audi. Seit 2013 ist er Mitglied des Audi-Vorstands und hier für die technische Entwicklung von Audi zuständig. Außerdem verantwortet er bei Volkswagen die Steuerung der markenübergreifenden Entwicklung.
Der Pischinger-Student und einstige FEV-Angestellte Michael Krüger arbeitet bei der Robert Bosch GmbH als Chefentwickler für Dieseltechnologie. Im Sommer 2015 versicherte Krüger: “Dank der aktuellen Filter hat der Diesel kein Problem mit Partikeln mehr”. Bei gleicher Gelegenheit behauptete Rolf Bulander, Vorsitzender des Bereichs Mobility Solutions bei Robert Bosch: “Der Diesel ist eine Schlüsseltechnologie um die CO2-Flottenziele zu erreichen”.
Der RWTH-Absolvent Rudolf Krebs, einst VW-Chef für den Bereich Elektroautomobile, wurde kurz vor dem Abgasskanal in die Pensionierung verabschiedet. Heinz-Jakob Neußer wurde nur beurlaubt. Der VW-Markenvorstand für den Geschäftsbereich Entwicklung gilt als entscheidende Figur im Abgasdrama. 1996 wurde er bei Franz Pischinger an der RWTH promoviert und daraufhin bei Pischingers FEV angestellt. Hier war er für die Entwicklung von Ottomotoren zuständig bis er zur Porsche AG ging. Seit 2011 verantwortet er in Wolfsburg den Sektor Aggregateentwicklung. Er ist seit 2013 als Mitglied des Markenvorstands Volkswagen zudem für den Geschäftsbereich Entwicklung zuständig.
Die Mitglieder der VW-Abgasclique vereinen ihr kraftfahrzeugtechnisches Knowhow, ihr Bezug zur RWTH und ihre wissenschaftlichen Titel. Wie für andere (einfluss-)reiche Cliquenwirtschaftler gilt auch für die Aachener Abgasclique: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Nur Stefan ist ein leiblicher Sohn von Franz Pischinger. Doch es fällt auf, wie sehr auch die übrigen Abgasspezialisten Pischinger, dem 2015 preisgekrönten Vorbild für aufstrebende Wissenschaftler, ähneln. Stefan Gies schlägt als Einziger aus der Art – jedoch nur optisch.