Die Hirnbohrungen des Elon Musk

Der Hype um künstliche Intelligenz lenkt von wesentlich einschneidenderen Technologien ab: Gehirn-Computer-Schnittstellen haben unmittelbare, physisch spürbare Auswirkungen auf das Individuum. Etablierte Tech-Konzerne und einige Start-ups arbeiten intensiv daran, die Grenzen des menschlichen Gehirns zu sprengen.

Mit nichtinvasiven und invasiven Neuroprothesen versuchen sie, die Denk- und Erinnerungsfähigkeit sowie die sensorischen Kräfte der Menschen zu erweitern. Die prominentesten Labors, die zur Hirn-Aufbesserung forschen, werden weder von öffentlichen Institutionen noch Hochschulen oder Pharmakonzernen betrieben, sondern von finanziell gut ausgestatteten US-Konzernen wie Meta, Microsoft und IBM.

Der Mann, der selbstfahrende Elektroautos baut, Raketen ins All befördert und zu KI forschen lässt, will nicht als Kätzchen behandelt werden.

Einer ultra-intelligenten künstlichen Intelligenz wären Menschen so stark unterlegen, „dass wir wie ein Haustier oder eine Hauskatze wären. Mir gefällt die Idee nicht, eine Hauskatze zu sein“, warnte Elon Musk 2016 bei der Recode Conference in Kalifornien – und gründete prompt im selben Jahr das Neurotechnologie-Startup Neuralink Corporation.

Zusammen mit seinen Gründungspartnern, darunter ein Biologe, ein Gehirnchirurg und mehrere Gehirn-Chip-Designer, begann Musk, invasive Gehirn-Maschine-Schnittstellen zu bauen. Ziel ist es, darüber menschliche und künstliche Intelligenz symbiotisch zu vereinen. Neuralink baut zu dem Zweck winzige Chips mit über 3000 Elektroden – 1000-mal mehr als sie für Hirnstimulationen etwa für Parkinson-Patienten verwendet werden.

Im Juli 2019 wurde der Minichip N1 bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Man erfuhr, dass die zahlreichen Elektroden von N1 mit dünnsten Nadeln sicher im Gehirn platziert und über haarnadeldünne Faden mit möglichst vielen Neuronen in verschiedenen Hirnbereichen vernetzt werden sollten. Durch die Haut hinweg sollten die Neuronen mit einem Sender am Ohr, genannt The Link, kommunizieren. Diese Hörgerät-ahnliche Minimuschel sei mit einem Bluetooth-Radio und einer Batterie ausgestattet und über eine iPhone-App kontrollierbar. Hirnvernetzte hätten somit ihr Kontrollgerät selbst in der Hand – und nicht etwa eine Ärztin oder andere Person.

Bei der Pressekonferenz vor fünf Jahren versicherte Elon Musk, das Neuralink-Maschinchen werde schnell, sicher und fast unmerklich über eine extradünne Nadel ins Gehirngewebe eingeführt werden können.

Dazu müsse nur das Kopfhaar abrasiert werden. Zu erwarten seien die üblichen Komplikationen im Zuge einer Operation, und er warnte davor, dass eine Narbe zurückbleiben könne. Das offene Loch werde mit einem Sensor verschlossen.

Nach Tests an Affen, meldete Musk per X am 29. Januar 2024, dass “the first human” gefunden worden sei, jemand, die oder der sich einen Neuralink-Chip ins Hirn hat montieren lassen. Der neue Chip mit dem sprechenden Namen Telepathy, ermögliche es, ein Telefon oder einen Computer über Gedanken zu steuern.

Neben N1 gibt es ein weiteres früheres Neuralink-Projekt, Neural Lace, eine Art Spitzenklöppel-Arbeit mit KI-Schicht für das Gehirn. Diese „Nähmaschine für das Gehirn“ stellte Neuralink 2019 vor. Das System erlaube es, flexible Elektroden per Mininadel ins Gehirn zu pflanzen. Getestet würde es an den Köpfen von Ratten. Bei der „neuronalen Spitze“ handele es sich um ein drahtloses Gehirn-Computer-System, das den wechselseitigen Austausch zwischen Gedankenströmen und Software ermöglichen soll. Über Neural Lace könnten Menschen Maschinen bedienen und sich Internetinhalte oder Datenbanken ins Hirn laden. So wie N1 und Telepathy soll auch die „neuronale Spitze“ den Weg zur Mensch-Maschine-Symbiose ebnen. 

Alle Neuralink-Erfindungen basieren auf Erkenntnissen von menschlichen Hirnfunktionen – des Bewegungs-apparates, des Seh-, Sprech- und Sprachvermögens, der Stimmungen, der Schmerzen, des Gedächtnisses, des räumlichen und des mathematischen Denkens. Die Produkte sollen drahtlos funktionieren und viele Jahre im Gehirn verbleiben können, so Mitteilungen der Firma.

Elon Musk peilt mit den Neuralink-Innovationen den Gesundheits- und Massenmarkt an. Die Verbindung von menschlicher und künstlicher Intelligenz „wird jeden, der übermenschliches Denken haben will, dazu befähigen“, so Musk im September 2018 im Podcast Joe Rogan Experience, „jeden, der es will“.

„Ihr habt eine digitale Version von Euch, eine partielle Version von Euch, online – in Form eurer Mails, sozialer Medien und anderer Dinge, die ihr macht.“ Jetzt sei dafür zu sorgen, dass Menschen tatsächlich Cyborgs würden, erklärte Musk bei einer Konferenz in Dubai Anfang 2017.

Nur als Cyborgs würden Menschen angesichts der immer mächtiger werdenden KI überhaupt relevant bleiben, statt durch sie ersetzt zu werden. „Wenn wir eine hoch-leistungsfähige, neuronale Schnittstelle mit unserem digitalen Selbst erschaffen können“, orakelte Elon Musk 2016, „dann ist man keine Hauskatze mehr.“ Im Podcast mit Joe Rogan rief Musk sein Lieblingsszenario aus. Es sei das, bei dem „wir effektiv mit KI verschmelzen“.

Elon Musk gibt gerne Spektakuläres von sich. Doch er redet nicht nur, sondern finanziert und organisiert auch, was er ankündigt. Das ist deutlich alarmierender als seine vollmundigen Prophezeiungen. Am Drehbuch der Zukunft schreiben die Teams seiner „jüngeren“ Projekte, OpenAI oder Neuralink, maßgeblich mit, während parallel weitere visionäre Skripte für Tesla und SpaceX längst realisiert werden. Die Neuro-Info-Tech-Schnittstellen von Neuralink und OpenAI lassen sich zwar ausgerechnet nicht mit den Produkten von Musks The Boring Company verknüpfen, dafür aber umso besser mit den Entwicklungen aus dem Automobilbereich von Tesla und aus der Raumfahrt von SpaceX . Glücken Branchen übergreifende Mensch-Maschine-Kopplungen, so ergeben sich Innovationen, die das Individuum, seine Fähigkeiten, Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung sowie das Miteinander in Gesellschaft stark verändern werden.

Textbasis: Schmalz, Gisela (2020): Mein fremder Wille – Wie wir uns freiwillig unterwerfen und die Tech-Elite kassiert. Frankfurt am Main: Campus Verlag, Kapitel 4: 6. Hirnprothesen.

Recommended citation / Empfohlene Zitierweise: Schmalz, Gisela: “Die Hirnbohrungen des Elon Musk” (2024). Gisela Schmalz: https://www.giselaschmalz.com/die-hirnbohrungen-des-elon-musk/